v.l.n.r. Mag.a Ulrike Kneidinger-Peherstorfer, Prim. Dr. Adrian Kamper, Josef Hölzl, MSc, Mag.a Silvia Breitwieser

Beziehung und Erziehung in unsicheren Zeiten

Bei einer Pressekonferenz am 6. Mai 2021 im OÖ. Presseclub erläuterten Experten aus Medizin, Beratung und Seelsorge, welche Auswirkungen die Corona-Pandemie auf die psychische Gesundheit und den Alltag von Eltern und Kindern hat. Besorgniserregend sind insbesondere die Auswirkungen auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen, weiß Prim. Dr. Adrian Kamper, Leiter des Departments für Psychosomatik für Säuglinge, Kinder und Jugendliche am Klinikum Wels-Grieskirchen. 

 

Corona bestimmt nach wie vor unseren gesamten Alltag. Vor allem Kinder, Jugendliche und Eltern waren im letzten Jahr besonders gefordert. Erziehung, Haushalt, Homeoffice und Homeschooling – all das musste unter einen Hut gebracht werden. Sich ständig ändernde Modalitäten erfordern kreative Maßnahmen, um den familiären Alltag bewältigen zu können. Die Sehnsucht nach einem „Leben wie zuvor“ ist groß. Auch die Hoffnung, kulturelle und gastronomische Angebote wahrnehmen zu können und damit der Corona-Müdigkeit ein Stück weit zu entfliehen, wurde immer wieder enttäuscht. 

Mangelnde Beachtung der Bedürfnisse

„Ab Februar 2021 nahmen die Anfragen an unsere Einrichtung sprunghaft zu, steigerten sich im März und April nochmals: zwei bis drei Anfragen pro Tag zu stationären Aufnahmen. Dem stehen zwölf stationäre Psychosomatik-Behandlungsplätze gegenüber“, erklärt Adrian Kamper, Leiter des Departments für Psychosomatik für Säuglinge, Kinder und Jugendliche. Rückblickend das Jahr 2020 aus dem Blickwinkel des Kinder- und Jugendmediziners betrachtet, bleibt eine mangelnde Beachtung der Bedürfnisse von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien in Erinnerung. Im Gedächtnis bleiben einschneidende Restriktionen sowie Diskussionen, die Kinder und Jugendliche in die Rolle von massiven Virus-Überträgern stellten.
Dazu kamen die früh einsetzenden Bewertungen als „verlorene Generation“ oder „Generation Corona“. Derart negative Bewertungen, mit katastrophisierendem Potential waren und sind für die Kinder und Jugendlichen irritierend.

Innere Leere und Ziellosigkeit

Die Symptome vieler Patient betreffen schwere Essstörungen. Ein Trend, welcher sich in der 2. Jahreshälfte 2020 und 2021 nochmals verstärkte. "Wir erleben außerdem Kinder und vor allem Jugendliche mit Schlafstörungen inklusive Tag-/Nachtumkehr, heftigen Konzentrationsschwierigkeiten, ängstlich-depressiven Symptomen, gehäuften Panikreaktionen, beängstigenden Wahrnehmungsphänomenen/-Verkennungen, emotionaler Labilität, dem Gefühl innerer Anspannung, wiederholten Selbstverletzungen, zunehmendem Rückzugsverhalten, aber auch Inappetenz und körperlichen Beschwerden", berichtet der Kinder- und Jugendmediziner.
Es fällt bei den Anfragen eine Mädchenwendigkeit auf. Generell wird von hohem Medienkonsum berichtet.
In den letzten 3 Monaten nehmen die Klagen über starke Ermüdung, ein Gefühl der inneren Leere, der Lustlosigkeit, sich durch den Tag treiben lassen, eine sinkende/verlorene Zukunftsperspektive und Ziellosigkeit zu, eine Befindens-Konstellation, die im Englischen als „Languishing“ beschrieben wird.

Längerfristige Folgen der Pandemie

Prim. Dr. Adrian Kamper

„Das Wissen um spezielle Langzeitfolgen der Pandemie wächst derzeit rasch, die Folgeerscheinungen sind unter dem Namen Long Covid oder Post-Covid19-Syndrom bekannt.“ 

Prim. Adrian Kamper
Leiter des Departments für Psychosomatik für Säuglinge, Kinder und Jugendliche

 

 

Persönliche Einschätzung von Prim. Kamper:

  • Es gibt die Kinder, Jugendlichen und Familien, die die Zeit der Pandemie gut/weit-gehend unbeschadet bewältigen werden. Dies ist die Gruppe mit hohem Adaptationspotential.
  • Eine zweite Gruppe schafft die Bewältigung mit gewissen Problemen, wird aber mit Normalisierung der Lebensumstände ohne Dauerfolgen durch die Pandemie leben.
  • Eine dritte Gruppe wird mit anhaltenden Folgen aus der Pandemie hervorgehen, mit Beeinträchtigungen über Monate, auch Jahre. Diese dritte Gruppe gilt es früh-zeitig zu identifizieren und den Betroffenen zu helfen.
  • Auf Kinder und Jugendliche, die „Languishing“ Symptome zeigen, sollte Augenmerk im Hinblick auf die Entwicklung und Chronifizierung psychiatrischer Störungsbilder/Erkrankungen gelegt werden.
  • Die Kinder und Jugendlichen mit kinder-und jugendpsychiatrischen Krankheitsbildern, die bereits vor der Pandemie bestanden oder während der Pandemie auftraten, sind weiterhin zu betreuen.
  • Hinsichtlich der häuslichen Folgen von Gewalt an Kindern und Jugendlichen während der Pandemie, gehe ich von zeitverzögerten Erkenntnissen und einer Fallzunahme aus.
  • Eine besondere Hochrisikogruppe stellen Jugendliche ohne Schulabschluss bzw. ohne Lehrstelle dar.
  • Kinder und Jugendliche aus sozioökonomisch schwachen sowie bildungsfernen Schichten werden besonders von den Langzeitfolgen der Pandemie betroffen sein.

Den vollständigen Presstext gibt es hier zum Nachlesen.