Sonja Heibl

Moderne Medizin unterstützt die Körperabwehr

Das Immunsystem des Menschen ist ein ausgeklügeltes biologisches Abwehrsystem aus spezialisierten Organen, Geweben, Zellen und Eiweißen. Seine Aufgaben sind das Erkennen, Bekämpfen und Eliminieren von eindringenden Krankheitserregern, wie Bakterien und Viren, Pilzen, Parasiten oder Fremdstoffen, um den Körper zu schützen. Grundsätzlich kann das Immunsystem auch bösartige Zellen erkennen und vernichten – doch diese werden vom eigenen Körper oftmals nicht als fremd erkannt. Auch reicht eine einfache „Stärkung“ des Immunsystems nicht aus, um die Entstehung von Krebs zu verhindern. Onkologin Sonja Heibl vom Klinikum Wels-Grieskirchen gibt Einblicke in den aktuellen Wissensstand um die Zusammenhänge zwischen Immunsystem und Blut- und Krebserkrankungen.

Aufgrund der Tatsache, dass sie noch viele Merkmale des Ursprungsgewebes, zum Beispiel von Darm, Haut oder Niere, tragen, sind Tumorzellen nicht im gleichen Ausmaß fremd wie von außen eindringende Erreger. Das macht es für das Immunsystem schwierig, Krebszellen als feindlich zu erkennen. Zudem verändern sich Tumorzellen sehr schnell und können so dem Immunsystem entkommen.

Interview mit OÄ Dr. Heibl

Frau Dr. Heibl, kann ein starkes Immunsystem die Wahrscheinlichkeit für die Entstehung einer Blut- oder Krebserkrankung reduzieren?

Wenn trotz eines funktionierenden Immunsystems eine Krebserkrankung entsteht, bedeutet dies nicht, dass das Immunsystem pauschal versagt hat. Tumorzellen können durch unterschiedliche Mechanismen, etwa durch Tarnung, Manipulation des Immunsystems, Vermehrung von myeloiden Suppressorzellen und einer damit verbundenen Schwächung des Immunsystems, auch einem „starken“ Immunsystem entkommen.

Umgekehrt gefragt: Gibt es Risikofaktoren im Zusammenhang mit dem Immunsystem, die eine Blut-oder Krebserkrankung begünstigen?

Ob durch ein „schwaches Immunsystem“ ein erhöhtes Krebsrisiko entsteht, hängt davon ab, ob die Immunabwehr nur vorübergehend oder dauerhaft geschwächt ist. Lebenslange bzw. länger anhaltende Störungen des Immunsystems sind selten. Eine Immunschwächeerkrankung mit erhöhtem Risiko für Krebs ist AIDS. Studien zeigen auch, dass Patienten nach Organtransplantationen mit lebenslanger immunsuppressiver Behandlung ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von bösartigen Erkrankungen aufweisen. Weiters gibt es deutliche Hinweise darauf, dass einige chronische Entzündungen zur Entstehung von Tumorerkrankungen beitragen können, beispielsweise haben Patienten mit Colitis ulcerosa ein erhöhtes Darmkrebsrisiko.

Welche Rolle spielt das Immunsystem bei der Therapie von Tumorerkrankungen?

Immunologische Ansätze in der Behandlung von Tumorerkrankungen werden schon lange verfolgt. Dazu zählen zum Beispiel die zielgerichtete Therapie, der Einsatz bispezifischer Antikörper sowie die CAR-T-Zell-Therapie. Behandlungen, welche derzeit unter dem Schlagwort „Immuntherapie“ häufig in den Medien präsent sind, meinen den Einsatz von sogenannten Immun-Checkpoint-Inhibitoren – spezielle Antikörper, die das Immunsystem aktivieren. Immun-Checkpoints, auch „Bremsen des Immunsystems“ genannt, verhindern, dass das Immunsystem übermäßig aktiv wird und gesundes Gewebe angreift. So können Tumorzellen dem Immunsystem entgehen. Durch Inhibitoren dieser Kontrollpunkte werden die „Bremsen gelöst“, die Tumorzellen erkannt und eliminiert. Diese Therapie wird bei sehr vielen Tumorentitäten (Gruppen) untersucht, sie hat bereits einen gesicherten Stellenwert in der Behandlung von Melanomen, HNO-Tumoren, Nierenzellkarzinomen, Blasenkarzinomen und bestimmten Formen von Brustkrebs. Als Nebenwirkung kann bei diesen Therapieformen eine Reaktion gegen körpereigene Strukturen auftreten.

Durch eine klassische Chemotherapie kann es insbesondere in den ersten Tagen nach der Verabreichung zu einem Abfall der Leukozyten und damit zu einer verminderten Verfügbarkeit der Zellen des Immunsystems kommen. Bei aplasierenden Chemotherapien (sie töten das alte Knochenmark ab), die man beispielsweise zur Behandlung von akuten Leukämien einsetzt, kann diese Phase auch deutlich länger anhalten. In dieser Phase werden Patienten in einer „Schutzisolierung“ behandelt, um das Risiko einer Infektion zu minimieren.

Ist das Immunisieren durch Impfungen bei Tumorerkrankungen problematisch zu sehen?

Eine Impfung mit Totimpfstoffen ist für Tumorpatienten je nach Erkrankung und Therapie möglich. Es gibt bislang keinen Beweis, dass eine Impfung eine zugrundeliegende Tumorerkrankung negativ beeinflusst. Je nach Therapie kann der Impferfolg abgeschwächt sein. Tumorpatienten sind für die saisonale Grippe anfällig und sollten deshalb jährlich immunisiert werden. Eine Pneumokokkenimpfung wird insbesondere für Patienten mit Lymphomen, Leukämien und Myelomen aufgrund der therapiebedingten Abwehrschwäche empfohlen. Für Patienten mit Tumorerkrankungen, geschwächtem Immunsystem und eventuell nicht möglicher Immunisierung ist es von eminenter Bedeutung, dass bei Menschen ihrer nahen Umgebung, bei Angehörigen, Freunden und Therapeuten, ein ausreichender Impfschutz vorhanden ist, um sie so vor einer Ansteckung zu schützen. Für eine SARS-CoV-2 Infektion steht derzeit keine Impfung zur Verfügung. Eine Ansteckung muss durch entsprechende Schutzmaßnahmen verhindert werden.

Sonja Heibl

OÄ Dr. Sonja Heibl, Abteilung für Innere Medizin IV, Hämatologie und internistische Onkologie am Klinikum Wels-Grieskirchen

Weiterführende Informationen

Das Immunsystem des Menschen ist ein ausgeklügeltes biologisches Abwehrsystem aus spezialisierten Organen, Geweben, Zellen und Eiweißen. Dazu zählen neben der Haut und der Schleimhaut, den Mandeln und der Thymusdrüse auch die Lymphknoten, Milz, Leber und das Knochenmark. Zu den Aufgaben des Immunsystems zählen das Erkennen, Bekämpfen und Eliminieren von Bakterien und Viren, Pilzen, Parasiten und Fremdstoffen. Man unterscheidet das angeboren vom erworbenen Immunsystem (durchgemachte Infektionen, Impfungen).

Zum Lymphsystem zählen Lymphe, Lymphkapillaren, größere Lymphgefäße, Lymphknoten, Milz, Mandeln und Thymus. Es transportiert Nähr- und Abfallstoffe und entsorgt Krankheitserreger. Täglich führen die Lymphgefäße bis zu zwei Liter wässrige hellgelbe Zwischenzellfüssigkeit in das Venensystem. Mit dieser Lymphe werden abgestorbene Zellen, Eiweiß- und Fremdkörper, Bakterien, Fette und Stoffwechselendprodukte abgeleitet.

Innere Medizin IV

Schwerpunkte Hämatologie, internistische Onkologie und Palliativmedizin, Nephrologie und Dialyse am Klinikum Wels-Grieskirchen
Das größte Ordensspital Österreichs verfügt über vier Abteilungen für Innere Medizin – hier werden Patienten mit Erkrankungen aus dem gesamten Spektrum der Inneren Medizin betreut. Die Schwerpunkte der Abteilung für Innere Medizin IV unter Leitung von Primarius Univ.-Prof. Dr. Josef Thaler sind Hämatologie, internistische Onkologie und Palliativmedizin, Nephrologie und Dialyse. Mit Ausnahme der Stammzelltransplantation wird in Wels heute das gesamte Spektrum der Leukämietherapie angeboten. Sowohl auf diagnostischer als auch auf therapeutischer Ebene gibt es in der Hämatologie heute große Innovationen. Vielversprechend sind vor allem die zielgerichteten Therapien, die „Targeted Therapies“. Durch umfangreiche molekulare Untersuchungen wird eine auf den Patienten zugeschnittene – personalisierte – Medizin möglich, welche die Signalwege der Krebszelle unterbricht und das Wachstum des Tumors stoppt. Das „Profiling“ der Krebszelle geschieht im molekularen Tumorboard am Klinikum. Die Abteilung nimmt regelmäßig an hämatoonkologischen und nephrologischen klinischen Studien teil. Weiterführende Informationen zur Inneren Medizin à www.klinikum-wegr.at / Medizin Pflege / Innere Medizin