Hörverlust als unterschätzter Risikofaktor für Demenz

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Bild von Dr. Keinztel mit einem Kind

Hörverlust als unterschätzter Risikofaktor für Demenz

 

Wer schlecht hört, verpasst nicht nur Gespräche – sondern riskiert langfristig auch seine geistige Fitness. Thomas Keintzel, Leiter der Abteilung für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten am Klinikum Wels-Grieskirchen, gilt österreichweit als Experte und Vorreiter auf dem Gebiet der Cochlea-Implantation und setzt sich insbesondere für hörgeschädigte Menschen – vom Kindes- bis zum höheren Lebensalter – ein. Der HNO-Primar erklärt, warum gutes Hören weit mehr ist als Lebensqualität – und wie stark Hörminderung und Demenz zusammenhängen.

„Der Global-Burden-of-Disease-Studie der WHO ist zu entnehmen, dass sowohl Hörstörungen als auch Demenzerkrankungen in Industrieländern zu den bedeutendsten Erkrankungen zählen, welche zu massiven Einschränkungen der Lebensqualität führen“, so HNO-Experte Keintzel. Er spricht lieber von „neurokognitiven Störungen“, denn der Begriff Demenz sei oft mit Angst und Stigma behaftet. Was sich hinter dieser Diagnose verbirgt, ist der fortschreitende Verlust geistiger Fähigkeiten wie Gedächtnis, Orientierung oder Auffassungsgabe ohne Störung des Bewusstseins. Zuvor beherrschte Alltagsfähigkeiten werden dadurch stark eingeschränkt.

Mehr als 14 Risikofaktoren – viele sind beeinflussbar

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Prim. Dr. Thomas Keintzel, Leiter der Abteilung für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheite

In Österreich leben laut Gesundheitsministerium rund 130.000 bis 150.000 Menschen mit einer neurokognitiven Störung. „Bis 2050 wird sich diese Zahl voraussichtlich verdoppeln." 

Experte für gutes Hören: Prim. Dr. Thomas Keintzel, Leiter der Abteilung für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten, Klinikum Wels-Grieskirchen

 

 

 

 

 

Hauptursache ist der demografische Wandel. Die häufigsten Formen sind die Alzheimer-Demenz und die vaskuläre Demenz, oft auch in Mischformen. Während diese „primären Demenzen“ direkt durch den Untergang von Nervenzellen entstehen, gehen sekundäre Formen auf andere Krankheiten oder Umweltfaktoren zurück und sind teilweise behandelbar. Der Lancet Report 2024 nennt 14 Risikofaktoren, die die Entstehung kognitiver Störungen begünstigen – viele davon sind modifizierbar. Neben Bewegungsmangel, Rauchen, Diabetes oder Depression ist insbesondere die Hörminderung ein Schlüsselfaktor. Wer rechtzeitig reagiert, kann sein Risiko senken. „Es liegt also auch an uns selbst, unser Gehirn aktiv zu schützen“, betont Keintzel.

Risikofaktor Schwerhörigkeit 

Dass es eine Verbindung zwischen altersbezogenem Hörverlust und kognitivem Abbau gibt, ist mittlerweile wissenschaftlich gut belegt. „Ab dem 60. Lebensjahr verlieren wir im Schnitt jedes Jahr etwa ein Dezibel an Hörleistung. Rund 30 Prozent der 60- bis 70-Jährigen haben dadurch spürbare Probleme – bei den über 70-Jährigen sind es deutlich mehr“, erklärt der HNO-Spezialist.

Die altersbezogene Schwerhörigkeit ist nicht nur eine der häufigsten neurodegenerativen Erkrankungen – sie betrifft auch nicht nur das Ohr selbst. „Mit dem Gehör verliert der Mensch nicht nur Sinneszellen im Innenohr, es treten auch Veränderungen der Hörverarbeitung im Gehirn auf. Das kann kognitive Leistungen wie Sprachverstehen, Aufmerksamkeit und Gedächtnis erheblich beeinträchtigen.“

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Dr. Keintzel mit Patient
Hören verbindet – auch im Alter: Studien zeigen, dass unbehandelter Hörverlust das Risiko für kognitiven Abbau erhöht. Bereits ab dem 60. Lebensjahr nimmt die Hörleistung messbar ab – bei vielen älteren Menschen beeinträchtigt das zunehmend die Lebensqualität.

Prävention beginnt im Ohr – und im Kopf 

Eine Hörstörung kann also mehr sein als ein lästiges Altersleiden – sie kann für ein Frühwarnzeichen einer beginnenden Demenz stehen. Keintzel nennt konkrete Symptome, die sich überschneiden: sozialer Rückzug, verlangsamtes Denken, häufiges Nachfragen oder Schwierigkeiten, Gesprächen zu folgen. „Studien wie die Baltimore Longitudinal Study zeigen, dass kognitiv gesunde Menschen mit unbehandelter Hörstörung ein signifikant höheres Risiko haben, später an einer demenziellen Erkrankung zu leiden.“ Der Umkehrschluss: „Wünschenswert ist, dass bei Vorliegen einer kognitiven Störung ein zusätzliches Hörscreening erfolgt und bei bestehender Hörstörung sowie dem klinischen Verdacht auf eine zusätzliche kognitive Störung ein Demenzscreening durchgeführt wird.“

Imagewandel dringend nötig

Frühzeitige Interventionen wie Hörgeräte oder – bei starkem Hörverlust – Implantate, gepaart mit gezieltem Hörtraining, können das Fortschreiten neurokognitiver Störungen verlangsamen. „Akustische Reize halten das Gehirn aktiv. Fehlen sie, beginnt es schneller abzubauen.“ Trotz nachgewiesener Wirksamkeit sind Hörgeräte noch immer mit Vorurteilen behaftet. „In Österreich nutzen sie nur etwa 15 bis 20 Prozent der Betroffenen“, so Keintzel. Dabei profitieren besonders ältere Menschen von modernen Lösungen – auch im hohen Alter. „Viele glauben, es zahlt sich nicht mehr aus. Doch genau das Gegenteil ist der Fall.“ Sein Appell: „So wie wir Bluthochdruck behandeln oder aufhören zu rauchen, sollten wir auch eine Hörminderung ernst nehmen. Hörgeräte können keine Demenz heilen – aber sie helfen, geistige Fähigkeiten länger zu bewahren. Es liegt an uns, aktiv zu werden.“ Gut gehört ist besser gemerkt.

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Bild von Dr. Keinztel mit einem Kind
Ein Cochlea-Implantat kann Lebensqualität zurückgeben: Nicht nur Kinder, auch ältere Menschen mit altersbezogener starker Hörminderung profitieren von der modernen Hörprothese.

Veranstaltungs-Tipp 

Beim Klinikum-Wissensforum am 7. Mai dreht sich alles um die Sinne: Experten des Klinikum Wels-Grieskirchen informieren in Kurzvorträgen über hartnäckigen Husten, den Zusammenhang zwischen Hörvermögen und Demenz, die häufigsten Augenerkrankungen sowie Vorsorge und Therapie von bösartigen Hautkrankheiten. Im Anschluss stehen sie für individuelle Fragen zur Verfügung. 

Klinikum Wissensforum: Mit allen Sinnen! Eintritt frei! Keine Anmeldung notwendig. 

Wann: Mittwoch, 7. Mai 2025, 18:00 Uhr 

Wo: Klinikum Wels-Grieskirchen, Festsaal, Standort Wels

 

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